Antisemitismus in der taz

Ein Leserbrief an die taz – bezüglich zweier taz-Artikel von Anita Kugler vom 25. Januar 1997 („Jüdische Anwältin gegen Widerständler“ und „Keine Sonderanstandsregeln“) und bezüglich eines taz-Artikels von Christian Semler vom 14. Februar 1997 („Vorwurf Kryptoantisemitismus“)

Der Zorn von Jerzy Kanal, dem Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde, ist vollauf berechtigt. Das, was Anita Kugler den taz-LeserInnen am 25. Januar zugemutet hat, strotzt nur so vor Antisemitismus. Allein schon der Kugler’sche Satz „Was für die einen gilt, muss aber auch für die anderen gelten“ reicht aus, um zu einem solchen Urteil zu kommen. Anita Kugler meint mit den „einen“ die Deutschen und mit den „anderen“ die Juden und exkommuniziert letztere damit aus der deutschen Volksgemeinschaft. So heißen bei ihr die Juden auch nicht Herr X und Frau Y, sondern selbstverständlich „Mr. X und Mrs. Y.“

Woraus sonst als aus einer antisemitischen Grundhaltung heraus, kann die Aussage rühren, dass die Äußerung einer einzelnen Person jüdischen Glaubens eine Schande für die jüdische Gemeinschaft in ganz Deutschland bedeute, und dass die Juden „Sitte und Anstand“ verloren hätten? Bei einer nicht-jüdischen Verleumderin wäre Anita Kugler die Religionszugehörigkeit völlig schnurz. Die Sonderanstandsregelungen für Juden schafft gerade sie.

Mit der Kritik von Simona Reppenhagen an der Familie von Dohnanyi setzt sich Kugler inhaltlich nicht weiter auseinander. Hans von Dohnanyi war ein Widerständler und kann daher per definitionem kein Ariseur sein, meint Frau Kugler. Dass der national-konservative Widerstand, dem von Dohnanyi angehörte, sich nicht so sehr am Hitler’schen Antisemitismus inklusive dessen mörderischer Konsequenzen störte, sondern hauptsächlich gegen Hitler war, weil dieser den Krieg verlor, verschweigt Anita Kugler. Der national-konservative Widerstand verschob 1938 seine Aufstandspläne gegen Hitler, weil dieser bei der Einverleibung des „Sudetenlandes“ auch im Sinne der National-Konservativen überaus erfolgreich war. Es kann per se nicht ausgeschlossen werden, dass ein Widerständler zweiter Ordnung wie Hans von Dohnanyi auch ein Ariseur gewesen sein kann. Ein entsprechender Vorwurf gegen von Dohnanyi kann nicht mit dem pauschalen Hinweis auf dessen Zugehörigkeit zum Widerstand entkräftet werden. Unstrittig zu sein scheint, dass das betreffende Grundstück tatsächlich 1938 (wenn auch nicht von Hans von Dohnanyi) arisiert worden ist, und somit die Mandantin von Simona Reppenhagen eher einen Anspruch darauf hat als der Von-Dohnanyi-Sohn Klaus.

Um eine Analogie zu dem Vorwurf gegen Hans von Dohnanyi zu bilden, fällt Anita Kugler nichts anderes ein als die Bezichtigung des Rabbiners Leo Baeck, Teil einer jüdischen Schieber- und Spekulantenbande zu sein. Damit versucht sie zu vermitteln, dass die Kritik von Simona Reppenhagen, die bei Anita Kugler als „jüdische Anwältin“ erscheint, mindestens genauso schlimm ist wie ordinärer Antisemitismus. Zu dieser typisch deutschen Form der kompensatorischen Verdrängung muss wohl nicht mehr viel gesagt werden.

Nun springt also der deutsche taz-Redakteur Christian Semler (der in früheren Zeiten durch Lobpreisung der Pol-Pot-Diktatur in Kampuchea viel Schande über die deutsche Gemeinde gebracht hat) seiner Kollegin Kugler bei. Semler verweist auf krumme Grundstücksgeschäfte, die von Simona Reppenhagen und dem Schwiegersohn von Jerzy Kanal begangen worden sein sollen. Vielleicht stimmen sogar die entsprechenden von Semler herbeizitierten Vorwürfe. Nur was will uns der Autor damit sagen? Warum kommt Christian Semler zur Zurückweisung der Kritik an seiner Kollegin ausgerechnet auf angebliche Schiebereien von Juden zu sprechen?

Warum fallen so vielen deutschen JournalistInnen zu Juden in erster Linie immer Schieberei und Spekulation ein?

Die taz sollte sich von den Antisemitismen in ihren Spalten, die (hier muss Jerzy Kanal widersprochen werden) gar nicht so kryptisch, sondern ziemlich offensichtlich sind, schleunigst distanzieren. Denn eines sollte klar sein: ein Holocaust-Überlebender wie Jerzy Kanal hat ein Recht darauf, von den Kuglers und Semlers dieses Landes nicht mehr bespuckt zu werden.


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