Wildwasser marsch!

Ein Kommentar zur Verbannung von Wiglaf Droste aus dem Freien Radio

Die vorliegende Sammlung von Texten des Autors Wiglaf Droste wurde für eine Diskussion in Radio Unerhört Marburg (RUM) zusammengestellt.Anlass für die Diskussion über den Satiriker Droste ist das Verlangen einiger Leute aus dem Freien Radio, Wiglaf Droste dürfe im Programm von RUM nicht vorkommen. Wiglaf Droste sei ein Sexist, der die Opfer sexueller Männergewalt verhöhne; einem solchen Menschen dürfe in einem Freien Radio kein Forum gegeben werden. So die Essenz der Begründung für ein Droste-Verbot bei RUM.(1)

Diese Textsammlung soll es allen Interessierten ermöglichen, sich einen Überblick über den „Schreiberling“ (2) Wiglaf Droste zu verschaffen. Obwohl bei der Zusammenstellung darauf geachtet wurde, möglichst viele Formen und inhaltliche Felder des Droste’schen Werkes darzustellen, ist diese Sammlung kein repräsentativer Querschnitt der Droste-Arbeiten. Deutlich überrepräsentiert in dieser Sammlung sind die Texte, in denen sich Wiglaf Droste mit dem Geschlechterverhältnis und mit Sexualität beschäftigt. Die bevorzugte Dokumentierung dieser Texte ergibt sich aus dem Anlass für die Vorlage dieser Sammlung.

Mit der Vorlage dieser Texte wird den ZitathuberInnen, die sich bisher augenscheinlich keine Mühe gemacht haben, Droste-Texte zu lesen, und sich in der Regel darauf beschränkten, einzelne echte oder gefälschte Droste-Zitate in Stellung zu bringen, ein großer Dienst erwiesen. Sie werden in der Sammlung viele „Stellen“ finden, die sie künftig genussvoll-empört anführen werden, um Wiglaf Droste und seine AnhängerInnen als schlechte Menschen zu entlarven. Ihnen sei beim Aufspüren dieser Stellen viel Erfolg gewünscht!

Vergeblich werden die LeserInnen den Text suchen, in dem Droste eine Diskothek als „gaskammervoll“ umschreibt; (3) ein solcher Text existiert nämlich nicht. (4)

Leugnen lässt sich nicht, dass Wiglaf Droste ein literarischer Haudrauf ist, der überall, wo er Ignoranz und Blödheiten auszumachen meint, seine polemischen Geschütze in Anschlag bringt. Dort wo sich linke Menschen dumm verhalten, da bekommen auch diese Drostes Wortgeschosse ab. Bedenklich wäre es, wenn Droste hauptsächlich gegen links schießen würde, was aber nicht der Fall ist. Wiglaf Droste ist ein Linker, der an linken Dummheiten leidet und dieses literarisch verarbeitet. In der Hauptsache wendet er sich allerdings mit aller polemischer Schärfe gegen deutschtümelnde, volkstümliche und (ja tatsächlich!) gegen sexistische Erscheinungen dieser Gesellschaft.

Ein wichtiges Thema von Wiglaf Droste ist die Kritik an einem Spießertum von sich links begreifenden Menschen. Ein Ausdruck dieses Spießertums ist u.a. eine Haltung, sich mit einem simplen bipolaren Weltbild gemütlich einzurichten und dabei sich selbst stets auf der Seite der notorisch guten Menschen zu sehen, die vor allem Opfer sind. Droste wendet sich in diesem Zusammenhang auch gegen eine die Wirklichkeit verkennende Idealisierung des Proletariats. Und im Rahmen seiner Kritik an linker Spießigkeit beschäftigt er sich natürlich auch mit der Form der Spießigkeit, die sich feministisch gibt.

Der Vorwurf Wiglaf Droste sei ein „Täterschützer“, der die Opfer sexuellen Missbrauchs verhöhne, stützt sich hauptsächlich auf die Texte „Der Schokoladenonkel bei der Arbeit“ und „Zur Dialektik von Vatermutterkind“ Zu diesen beiden Texten daher einige kurze Anmerkungen.

„Der Schokoladenonkel …“ ist eine satirische Kurzgeschichte, die aus der Perspektive eines Mannes erzählt wird, der in einem Park einem kleinen Mädchen Schokolade gibt und daraufhin Angst bekommt, als sexueller Missbraucher verdächtigt zu werden. Auf den ersten Blick scheint sich die Geschichte über Ängste von Männern vor Feministinnen lustig zu machen. Bald aber wird klar, dass die Hauptstoß dieses Textes sich gegen Antimissbrauchsgruppen wie Wildwasser und Zartbitter richtet. Der Ich-Erzähler ergeht sich in scharfem Spott über die Frauen aus diesen Gruppen, und es ist auch klar, dass er dabei als Thesenträger des Autors Wiglaf Droste fungiert. Droste wirft den besagten Frauengruppen vor, dass sie „im Leben immer nur eins sein wollen, nämlich Opfer, und das natürlich im warmen Mief der Gruppe und … diese superkonservative Attitüde als schwer fortschrittlich juchheißen“. Wiglaf Droste bedient sich dabei wie in vielen seiner anderen Texten auch des Stilmittels der provokativen Beleidigung, wenn er schreibt: „… ja, diese Geschosse des Grauens, die sind allerdings zum Fürchten, die stinken und die sollen alle nach Hause gehen“. Provozieren soll es auch, wenn der Ich-Erzähler sich als Mitglied einer Band namens „The Schänders“ zu erkennen gibt und als deren Lieblingsstück „The Kids are alright“ nennt.

In dem Text „Zur Dialektik von Vatermutterkind“ lästert Wiglaf Droste über die nach seiner Meinung gegeneinander widerstrebenden Zeitgeisttendenzen Mutterschaft, Anti-Missbrauch und „neue Väter“. Über den Anti-Missbrauch schreibt er: „… andererseits fantert und gackert gerade diese Klientel über kein anderes Thema so gleichermaßen aufgekratzt wie ahnungslos durcheinander wie über das Modesujet der Saison 1992/93, Kindesmissbrauch. Denn über nichts lässt sich in entsprechenden Kränzchen und Runden, bzw. wenn der Fahrstuhl stecken bleibt, prickelnder und raumgreifender sprechen als über, so heißt das einschlägig, die diesbezüglichen eigenen ‚Erinnerungen und Nicht-Erinnerungen‘, wobei noch zu klären wäre, was enervierender ist: das Sich-Brüsten mit tatsächlich Erlittenem, das Sich-Ergehen in permanenter Opfer-Gestik und Rhetorik oder aber das Kramen in Nicht-Erinnerungen, das Zutagefördern erfundener Schrecken, um im Zuge der allgemeinen Wichtigmacherei nicht abseits stehen zu müssen …“. Wiglaf Droste beendet auch diesen Text mit einer gezielten Provokation, indem er einen seine vier Wochen alte Tochter wickelnden Vater ausrufen lässt: „Aah, Lolita, du kleine geile Schlampe …“ und eine daraufhin erfolgte Zwangseinweisung dieses Mannes in ein Männerhaus andeutet.

Zweifellos starker Tobak, den hier Wiglaf Droste seinen LeserInnen anbietet. Nach den Erkenntnissen der Publizistin Katharina Rutschky (5) und der Sozialwissenschaftlerin Karin Walser (6), die sich schon seit einiger Zeit kritisch mit der Praxis von Wildwasser & Co. befassen, sind Drostes diesbezügliche satirische Überspitzungen jedoch gar nicht so weit von der Realität entfernt.

Wiglaf Droste bedient sich in den meisten seiner Texte eines ätzenden Spottes, der natürlich andere treffen soll. Denn was wäre das für eine Satire, die Niemandem weh täte.

Einen wesentlich behutsameren Diskurs scheinen dagegen die Droste-GegnerInnen zu pflegen. In einem gegen Wiglaf Droste gerichteten Flugblatt, das innerhalb des Radios kursiert, schreiben die anonymen VerfassserInnen: „Zu einer Satire gehört der faire Umgang mit Anderen, ebenso wie die Selbstkritik“. Was das politische Spektrum, von dem dieser Satz stammt, jedoch wirklich von fairem Umgang und Selbstkritik hält, konnte am 17.12.96 im Marburger Kulturladen KFZ besichtigt werden. Die oben erwähnte Katharina Rutschky wollte auf Einladung einer Marburger Frauengruppe ihre Thesen zur Kritik des Feminismus zur Diskussion stellen. Die autonomen Frauen dieser Stadt brachten zu dieser Veranstaltung statt Argumente lieber Trillerpfeifen mit, die sie dann auch gegen alle anderen anwesenden Frauen vehement zum Einsatz brachten, und verhinderten damit die geplante Diskussion. (7)

Es drängt sich der Eindruck auf, dass wir es hier mit einer politischen Szene zu tun haben, die nicht bereit ist, Kritik an ihrer Politik zuzulassen. Die unerwünschte Kritik wird dadurch abgewehrt, dass manFrau die KritikerInnen als TäterInnen denunziert (während manFrau selbst natürlich unter allen Umständen Opfer ist). Und gegen TäterInnen muss manFrau sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Damit hat manFrau sich einen moralischen Freibrief für solche Gewaltaktionen wie die im KFZ verschafft.

Das Verbrechen von Wiglaf Droste und Katharina Rutschky ist es, die Gruppe Wildwasser kritisiert zu haben. Deshalb sollen sämtliche Äußerungen dieser Leute aus linken Zusammenhängen verbannt werden. (8) Denn merke: Wer Wildwasser kritisiert, muss ein Sexist sein!

Was sich hier äußert, ist eine politische Szene, die aller gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten beraubt und daher auf sich selbst zurückgeworfen ist. ManFrau verschanzt sich in dieser Szene hinter radikalistischen Positionen und verteidigt diese mit allen Mitteln und mit religiösem Eifer zuerst einmal im eigenen linken Schrebergarten. Hier kann manFrau nämlich ganz leicht Erfolge erzielen und muss sich nicht mit der bösen Welt da draußen auseinandersetzen. Sexisten im Zentrum der Gesellschaft bleiben dabei unbehelligt. Oder hat manFrau schon einmal davon gehört, dass Auftritte von Harald Schmidt, Johannes Mario Simmel oder Gerhard Zwerenz von autonomen KämpferInnen gestört wurden?

Die Ironie der ganzen Geschichte ist, dass die von der besagten Szene gegen Wiglaf Droste gerichteten Aktivitäten diesem mehr nutzen als schaden. Die Plattenfirma Motor Music warb für die letzte CD von Wiglaf Droste mit dem Slogan „Freigegeben zum Boykott“. Eine äußerst erfolgreiche Promotionabteilung hat diese Plattenfirma in Marburg.

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(1) Eine ausführliche Kritik an Wiglaf Droste findet sich im Marburg Virus Nr. 56 S.22 ff. [zurück zum Text]

(2) So eine Bezeichnung für Droste von „FrauenLesben aus dem Radio“ (Marburg Virus Nr. 60. S.27) [zurück zum Text]

(3) So eine sich auf eine Zeitschrift namens „Interim“ stützende Behauptung der „FrauenLesben aus dem Radio“ (Marburg Virus Nr. 60. S.27) [zurück zum Text]

(4) Tatsächlich gab es im Herbst 1988 in Kreisen der Zeitung taz (zu einer Zeit als Wiglaf Droste Mitarbeiter dieser Zeitung war) eine große Aufregung um den Begriff „gaskammervoll“, der in einem taz-Bericht über eine Berliner Diskothek verwandt wurde. Nur stammte der entsprechende Bericht mitnichtenNeffen von Wiglaf Droste, sondern von einem Herrn Thomas Kapielski. (Vgl. taz vom 17.10.1988) [zurück zum Text]

(5) Vgl. Rutschky, Katharina: Erregte Aufklärung. Hamburg 1992 [zurück zum Text]

(6) Vgl. Walser, Karin: Sexueller Missbrauch und weibliches Bewusst-Sein. In: Handbuch Sexueller Missbrauch. Hamburg 1994. S. 259-278 [zurück zum Text]

(7) ManFrau sollte sich hier nicht in eine grundsätzliche Frontstellung gegenüber dem Feminismus begeben. Das was sich im KFZ mit Trillerpfeifen artikuliert hat, war nicht der Feminismus, sondern nur ein besonders dogmatisch-sektiererischer Teil des Feminismus. Dogmatische SektiererInnen gibt es in allen politischen Strömungen. Und wie andere Strömungen wird auch der Feminismus die Aktionen seines Sektenflügels überleben. [zurück zum Text]

(8) Auslöser für die Wiglaf-Droste-Debatte bei Radio Unerhört war das Abspielen des Droste Liedes „Grönemeyer kann nicht tanzen“. Die Droste-GegnerInnen hatten gegen das Lied selbst inhaltlich nichts einzuwenden, argumentierten aber, einem Sexisten wie Droste dürfe grundsätzlich kein Forum im Freien Radio geboten werden. [zurück zum Text]


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