Das Richtige wollend das Falsche machen

Der Spiegel fälscht seine Bestsellerliste.

Das Spiegel-Gebäude in der Hamburger Hafencity

Das Spiegel-Gebäude in der Hamburger Hafencity
(Photo: Dennis Siebert – Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Das Buch „Finis Germania“ des in der lateinischen Sprache offensichtlich unzureichend ausgebildeten Historikers Rolf Peter Sieferle, wenn es nicht der Verlag war, der den falschen Genitiv in den Titel hineinschrieb, dieses Buch bekam in diesem Jahr aus zwei Anlässen eine größere öffentliche Aufmerksamkeit. An beiden Anlässen war die Wochenzeitschrift Der Spiegel beteiligt.

Zunächst tauchte das 104-seitige Büchlein des verstorbenen Historikers in der Liste „Sachbücher des Monats Juni 2017“ auf. Diese Sachbuch-Bestenliste wird einmal im Monat von einer 25-köpfigen Jury im Auftrag von NDR Kultur und Süddeutscher Zeitung erstellt. Ein Mitglied dieser Jury, der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel, nutzte das etwas unklare Punktvergabesystem aus, um durch Konzentration aller ihm zu Verfügung stehender Punkte auf „Finis Germania“ eben dieses Buch in die Liste zu hieven, was ihm auch gelang: „Finis Germania“ kam auf Platz 9 der Monatsliste im Juni, obwohl nur einer der 25 Juroren für dieses Buch votiert hatte.

Was für ein Buch ist denn „Finis Germania“? Es ist eine Sammlung von kurzen Texten aus dem Nachlass des durch Suizid 2016 aus dem Leben geschiedenen Historikers Rolf Peter Sieferle. In diesen Texten, die in einer verquasten pseudo-bildungsbürgerlichen Sprache verfasst sind, wird ein rechtsextremes Weltbild ausgebreitet. In Sieferles Weltbild wird die deutsche Kulturnation von barbarischen Migranten bedroht, die letztlich nur durch einen Krieg zu besiegen sind, und Ausschwitz ist ein „Mythos“, um das deutsche Volk im Zustand der ewigen Schuld und damit klein zu halten. Das sind alles keine originellen und auch keine neuen Thesen, die Sieferle hier bringt, sondern nur das alte übel riechende Braunzeug, das schon ewig die Kleinhirne der Nazis dieser Welt verstopft. Neu ist vielleicht die Aufbereitung des braunen Stoffes für ein lesendes und sich intellektuell dünkendes Publikum. Aber selbst die Bezeichnung von Auschwitz als „Mythos“ ist kein neuer Begriff, sondern geht auf das Holocaustleugner-Machwerk „Der Auschwitz-Mythos“ eines NPD-Autoren aus dem Jahr 1979 zurück.

Dass das Sieferle-Buch im Juni 2017 plötzlich auf einer Empfehlungsliste von NDR Kultur und Süddeutscher Zeitung stand, das war nun wirklich ein Skandal. Eine mediale Empörung darüber setzte ein und war wirkungsvoll. Die übrigen Jury-Mitglieder distanzierten sich von dieser Empfehlung, ebenso die verantwortlichen Medien NDR Kultur und Süddeutsche Zeitung, der Empfehler des Buches Johannes Saltzwedel trat aus der Jury aus, und schließlich wurde das Buchempfehlungsprojekt „Sachbücher des Monats“ überhaupt eingestellt. So weit, so gut.

Dann aber passiert Folgendes: „Finis Germania“ wird zum Bestseller. In der wöchentlich vom Spiegel veröffentlichten Bestsellerliste Sachbuch hätte in der 29. Kalenderwoche dieses Jahres das Sieferle-Buch nach den realen Verkaufszahlen auf Platz 6 stehen müssen. Es steht dort aber nicht – für wenige Stunden klafft in der Bestsellerliste des Spiegel auf Platz 6 eine Leerstelle. Nach wenigen Stunden wird diese Leerstelle mit den darunter platzierten Büchern geschlossen, die einfach um einen Platz hochrücken. Erläutert wird dieser Vorgehen seitens des Spiegel zunächst nicht. Erst als am Tag danach Henryk M. Broder den Eingriff in die Bestsellerliste skandalisiert (siehe: Die Welt, 22.07.2017), äußert sich die Spiegel-Chefredaktion dazu:

„Das Buch ‚Finis Germania‘ hat in der Spiegel-Bestsellerliste von Heft 29 Platz 6 erreicht. Ohne die Empfehlung unseres Kollegen hätte das Werk des im vergangenen Jahr verstorbenen Autors es unserer Einschätzung nach nicht in die Liste geschafft; das Buch ist in einem kleinen und durch rechtsextreme Publikationen geprägten Verlag erschienen. Insofern haben wir in diesem Fall eine besondere Verant­wortung. Deswegen haben wir das Buch in Heft 30 von der Liste heruntergenommen.“
(Quelle: Spiegel Online)

Und das ist eine schon sehr spezielle Begründung. Weil es ein Spiegel-Redakteur war, der durch seine Punktevergabe dem Buch eine größere Aufmerksamkeit verschafft hat, sieht sich der Spiegel in einer besonderen Verantwortung, aus der er das Recht ableitet, das Buch aus der durch objektive Verkaufszahlen generierten Liste herauszunehmen. Dieses Vorgehen will das Richtige, nämlich das Hereinsickern der braunen Fäkalien in die Zivilgesellschaft eindämmen, ist aber trotz des sympathischen Ziels einfach falsch.

Muss man gerade dem Spiegel wirklich noch ins Stammbuch schreiben, dass es Aufgabe des Journalismus ist, die Welt so zu zeigen, wie sie ist. Das ein eindeutig rechtsextremes und sich gleichzeitig intellektuell gebendes Buch wie „Finis Germania“ sehr hohe Verkaufszahlen erreicht, zeigt, dass auch im lesenden Teil der deutschen Bevölkerung rassistische und antisemitische Ressentiments auf fruchtbaren Boden fallen. Es gibt auch gebildete Nazis – das muss begriffen werden.

Der Spiegel fälscht seine Bestsellerliste und liefert damit den rechten Verschwörungsgläubigen, die meinen, dass in den führenden deutschen Medien „Fake-News“ verbreitet werden, Material, mit dem sie ihr entrücktes Weltbild festigen können. Will man Schülern die Redensart „jemandem einen Bärendienst erweisen“ erklären, so kann man diesen Dienst des Spiegel als treffendes Beispiel heranziehen.


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