Ein Gastbeitrag von Michael Opielka
(veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 3.0
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Michael Opielka (Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena) befürwortet das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens.
(Photo: Bundeszentrale für politische Bildung – Lizenz: CC BY-SA 2.0)
Im 21. Jahrhundert ist der Kapitalismus, die historische Vorgabe des Sozialstaats, wieder ins Gerede gekommen. Zusammen ergeben Kapitalismus und Sozialstaat die von Gøsta Esping-Andersen als „Wohlfahrtskapitalismus“ bezeichnete gesellschaftliche Regime-Formation. Freilich unter einer Bedingung, die die Sozialpolitik zugleich gefährdet und benötigt: der Globalisierung. Zum einen, weil sie ihre nationalwirtschaftliche und nationalstaatliche Konstitution gefährdet. Zum anderen, weil die Globalisierung wiederum eine fundamentaldemokratische, nämlich menschenrechtliche und damit verstärkt ideelle Begründung der Sozialpolitik fordert. Es bleibt ausreichend Grund zur Beunruhigung über fortbestehende, globale Ungleichheit und Armut, wie die breite Resonanz auf Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ demonstriert. Daher gibt es gute Gründe, die Sozialpolitik als eine zentrale Arena der Gesellschaftsgestaltung im 21. Jahrhundert zu betrachten. Im Folgenden geht es um eine aktuelle und hoch bedeutsame Diskussion: Wäre eine allgemeine, gleiche und unmittelbare Nutznießung aller Menschen an den Erträgen der kapitalistisch verfassten Wirtschaft durch sozialpolitische Regulierung ratsam? Und wenn ja, wie könnte diese Regulierung öffentlicher Güter als Ensemble sozialer Rechte gelingen? Würde ein allgemeines und gleiches, garantiertes Grundeinkommen in einem solchen Zukunftsentwurf eine zentrale Rolle einnehmen?
Die Zukunft des Sozialstaats
Was aber müssen die Gestaltungsprinzipien künftiger Sozialpolitik sein? Sind Strukturinnovationen wie das garantierte Grundeinkommen geradezu erforderlich, die die weitgehend erwerbsbezogene Logik des bisherigen Sozialstaats verändern? Oder soll die seit den Workfare-Agenden von Reagan, Thatcher, Blair und Schröder („Agenda 2010“) forcierte Verschärfung der Kopplung von Erwerbsarbeit und Sozialeinkommen („Kommodifizierung“) fortgeschrieben werden? Ist es politisch und ethisch geboten, die „arbeitende Mitte“ (Sigmar Gabriel) der Gesellschaft hervorzuheben? Wer wäre die „nicht-arbeitende Mitte“ oder gar ihr Rand? Wer in diesen Diskursen von „Arbeit“ spricht, meint Erwerbsarbeit und in der Regel Lohnarbeit, also eine der Substanzen des Kapitalismus.
Eine andere Gesellschaft
Die Idee des Grundeinkommens findet seit einigen Jahrzehnten in allen politischen Lagern Gehör, wenngleich noch als Minderheitenposition. Ein Grundeinkommen würde in die Arbeits- und Lebenswelt eingreifen, indem es tief sitzende Werteorientierungen zur Funktion der Arbeit in Frage stellt. Zugleich aber würde dieses Konzept im Lichte unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Grundrichtungen auch sein Gesicht verändern.
Ein Grundeinkommen ist das Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen, das jedes Mitglied einer Gesellschaft unabhängig von Leistung und Herkunft beanspruchen kann. Eine Gesellschaft mit Grundeinkommen ist eine andere Gesellschaft als die heutige. Sie ist eine Gesellschaft für Alle. Ihre Institutionen richten sich zuerst, so die Idee, an den Menschenrechten aus. Etwa die Hälfte des gesellschaftlichen Einkommens wird vor aller weiteren Verteilung über Arbeit oder Vermögen allen Bürgern als Grundrecht garantiert. Eine Grundeinkommensgesellschaft ist eine reiche Gesellschaft, die ihren Reichtum allen Mitgliedern zugänglich macht.
Ein Modell für alle
Lässt sich ein Grundeinkommen als soziales Bürgerrecht mit großer Migration und Flüchtlingsintegration vereinbaren? Würde nicht durch ein Grundeinkommen auch für Flüchtlinge das Vorurteil bestätigt, dass Ausländer in opulente Sozialsysteme einwandern wollen? Vermutlich dürfte ein Grundeinkommen dazu beitragen, dass wohlhabende Gesellschaften noch genauer prüfen, welche Zuwanderer die besten Integrationschancen haben. Aber das gilt für jede gute Sozialpolitik, ob bei Gesundheit, Bildung, Wohnen oder Pflege. Am besten wird daher ein Grundeinkommen Schritt um Schritt weltweit erkämpft. Deutschland ist hier schon weit. Während auf der Vorderbühne der politischen Debatte noch immer um die „wirklich Bedürftigen“ und die „arbeitende Mitte“ gestritten wird, haben sich die höchsten Gerichte und die klare Mehrheit der Bevölkerung längst entschieden: wir brauchen soziale Grundrechte für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben. Das Grundrecht auf ein Einkommen gehört dazu. Die technische Umsetzung, das Verhältnis eines Grundeinkommens zum Arbeitsmarkt (Kombilohn) und zu anderen Sozialleistungen (Rente usf.) ist nicht einfach, aber lösbar. Mit einem Grundeinkommen wird nicht Milch und Honig fließen. Aber Sicherheit. Das ist in einer verwirrenden Welt viel.
Siehe auch:
Das bedingungslose Grundeinkommen zerstört den Wohlfahrtsstaat